Rock-Ratgeber

Wie wirkt Musik auf Menschen?

Wenn wir Rockfans von der Kraft der Musik sprechen, meinen wir damit in der Regel fette Riffs, donnernde Drums und durchdringende Screams. Doch Musik kann noch viel mehr als nur dafür zu sorgen, dass wir die Pommesgabel in die Luft recken und die Matte kreisen lassen. Sie nimmt Einfluss auf unser gesamtes Leben — schon vor der Geburt.

Musik ist allgegenwärtig. Morgens in der Küche mögen wir vielleicht etwas leichteren Rock, spätestens auf dem Weg zur Arbeit darf es doch gerne dann auch mal Metal sein. Die Liebesszene in einem Film ohne Musik? Unvorstellbar. In der Bar unterhalten wir uns; dazu laufen (leider zu) oft House-Klänge oder Loungemusik. Wer heiratet, der bemüht sich um einen großartigen DJ, damit die Party unvergesslich wird. Und im Fitnessstudio hören wir motivierende Songs, um die Gewichte noch ein wenig höher stemmen oder ein paar Kilometer mehr laufen zu können. Es gibt kaum Lebenssituationen, in denen Musik nicht zumindest in Hörweite wäre. Doch wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass wir Menschen musizieren und Musik hören? Eine kleine Geschichte der Musik, vom Schall bis zur opulenten Rockoper.

Theorien zur Erfindung der Musik gibt es unterschiedliche, doch viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass uns Gesang und Instrumente schon lange begleiten

Prähistorische Flöten
museopedia / commons.wikimedia.org CC BY-SA 4.0 DEED
Prähistorische Flöten

Aber es ist doch kurios: Wie kommt man als Hominide (also unser Vorfahre) darauf, wohlklingende Schallwellen erzeugen zu wollen, wenn man noch nie von einer Sache namens Musik gehört hat? Eine mögliche Antwort lautet: durch die Natur. Denken wir nur einmal an das Zwitschern der Vögel, das Rauschen des Windes oder das Summen von Insekten. Mit etwas Fantasie ist all das Musik und die konnten auch die ersten Menschen hören. Rührt daher also die Leidenschaft für Töne und Rhythmen? Denkbar. Eine andere Theorie ist, dass die Kommunikation zwischen Babys und Müttern etwas damit zu tun hat. Sicher ist, dass die Musik zum Beispiel deutlich älter ist als die Landwirtschaft, nämlich mindestens 30.000 Jahre. Anfangs dreht sich natürlich noch alles um das aktive Musizieren.

Dass Live-Musik bloß gehört und nicht selbst gemacht wird, ist ein vergleichsweise neues Phänomen, zumindest, wenn man die gesamte Menschheitsgeschichte betrachtet. Denn die längste Zeit war Musik ein gemeinschaftliches Erlebnis, das möglicherweise den Zusammenhalt von Gruppen stärkte. Konzerte, wie wir sie heute kennen, gibt es sogar erst seit dem 17. Jahrhundert.

M. John Banister
National Portrait Gallery, London / CC BY-NC-ND 3.0 DEED
M. John Banister

So fanden die ersten dokumentierten Auftritte im Jahr 1672 in London statt, wo der Geiger John Banister (Foto rechts) Eintritt verlangte, bevor er mit seiner Darbietung begann. Nur wenige Jahre später entstanden durch den britischen Musiker Thomas Britton bereits Abonnement-Modelle, denn bei ihm musste man nur einmal blechen, durfte dafür aber so viele seiner Konzerte besuchen, wie man wollte. Die ersten Rock-Shows fanden in den Fünfzigerjahren statt — und heute schauen wir uns einige unserer Lieblingsbands in Fußballstadien an.

Die Frage, ob es musikalische und unmusikalische Menschen gibt, lässt sich sehr einfach beantworten: Nein. Das Gespür für musikalische Zusammenhänge haben wir erstmal alle, es sei denn, es bestehen Abweichungen von der medizinischen Norm, zum Beispiel durch eine Erkrankung. Das konnte in mehreren Studien nachgewiesen werden, etwa mit Probanden, die selbst keine Musiker sind, aber gebeten wurden, ihr Lieblingslied wiederzugeben. Die Ergebnisse waren erstaunlich fehlerfrei, also ist Musik viel tiefer in uns verankert, als wir denken. Welche Musik wir mögen, hat viel mit unserer Sozialisation zu tun. Dazu kommen wir gleich noch. Doch zunächst möchten wir auf eine Frage eingehen, die sich wohl alle musikliebenden Eltern in spe stellen: Bringt es wirklich was, Kopfhörer über den Mamabauch zu stülpen, um den Nachwuchs auf den Pfad des Rock zu führen?

Babybauch und Gitarre
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Babybauch und Gitarre

Sobald das Kind unterwegs ist, werden die ersten Pläne geschmiedet: Wie kann man die Thronfolge schon einmal auf Metallica und AC/DC einstimmen? Wie bringt man dem Nachwuchs die Meisterwerke von Queen nahe? Nicht selten landet zu diesem Zweck ein Paar Kopfhörer auf Mamas Bauch, damit die Weichen in Richtung Rock und Metal bereits im pränatalen Zustand gestellt werden. Doch funktioniert das auch wirklich? Oder handelt es sich um ein Hirngespinst werdender Eltern, die wirklich alles versuchen, um ihr Kind an laute Gitarren zu gewöhnen? Die erfreuliche Antwort lautet: Es ergibt tatsächlich Sinn! Die Psychologin Alexandra Lamon spielte werdenden Müttern während der letzten Schwangerschaftsmonate immer wieder denselben Song vor: ein klassisches Stück, ein Reggae-Lied oder einen Popsong. Und siehe da: Ein Jahr nach der Geburt hörten die Kinder am liebsten, was sie bereits im Mutterbauch kennengelernt hatten.

Wie genau die Wahrnehmung von Musik im Gehirn funktioniert, ist aufgrund der Komplexität des Sachverhalts immer noch nicht genau erforscht. Doch einige Dinge wissen wir, zum Beispiel, dass Musik auf vielen Ebenen des Gehirns arbeitet, unserem Denkapparat Höchstleistungen abverlangt und tief zu unseren Emotionen vordringt. Bei Profimusikern ist sogar zu erkennen, dass sich ihr Gehirn verändert. So ist die querlaufende Verbindung unserer beiden Gehirnhälften bei Musikern merklich dicker. Das gilt auch im Amateurbereich: Wer musiziert, hat, vereinfacht gesagt, mehr graue Masse. Da verwundert es nicht, dass sich musikalische Früherziehung und Musikunterricht großer Beliebtheit erfreuen und die Intelligenz begünstigen sollen. Aber macht Musik wirklich schlau? Nicht direkt.

Mozart Sonate für zwei Klaviere D-Dur KV 448, Franziska Glemser und Florian Glemser
Mozart Sonate für zwei Klaviere D-Dur KV 448, Franziska Glemser und Florian Glemser

Vielleicht habt ihr schon einmal vom „Mozart-Effekt“ gehört. Die Psychologin Frances Rauscher spielte in den Neunzigerjahren einer Gruppe von Probanden die „Sonate für zwei Klaviere in D-Dur“ von Mozart vor, während sich eine andere Gruppe entspannen sollte — ohne Musik. Erstaunlich: Die Mozart-Gruppe erzielte in einem anschließenden IQ-Test sehr viel bessere Ergebnisse als die musiklosen Teilnehmer. Aber: Das hat nicht primär mit der Musik zu tun, sondern mit den Emotionen, die durch Mozarts Werke ausgelöst werden. Wenn ihr euch das Stück einmal anhört, werdet ihr feststellen, dass es sich bei der Komposition um ein freudiges, leidenschaftliches, aber auch melancholisches Stück handelt, das einen ganz schön mitreißen kann. Das wiederum begünstigt die kognitiven Leistungen — und die sorgen für einen gelungenen Intelligenztest.

Welche Musik wir als schön empfinden oder welche „unsere Musik“ ist, hängt von vielen Faktoren ab. Da wäre zum eine die Prägung im Mutterleib, über die wir bereits gesprochen haben. Doch auch die frühkindliche Konfrontation mit Musik und Musikmustern spielt eine Rolle. So klingt chinesische Musik für uns Europäer zum Beispiel fremd, weil wir ihre Prinzipien nicht von klein auf erlernen. Das Gleiche gilt umgekehrt: Kulturen, die noch nie klassische Musik gehört haben, empfinden Mozart vielleicht sogar als Krach. Darüber hinaus prägt unsere spätere Biografie, welche Musik wir genießen. Welche Songs verbinden wir mit schönen Ereignissen? Welches Lebensgefühl verbinden wir mit unserer Jugend? Welche Musik hören unsere Freunde? All das ist entscheidend. Ist es mit diesem Wissen auch möglich, die eigene Stimmung mithilfe von Musik zu beeinflussen?

Eric Clapton mit Tears In Heaven

Unplugged

Unplugged

Emotionen? Findet Ihr auch in unseren Streams und wir schlagen heute den Unplugged-Stream vor! Es löst schon etwas aus, wenn mal alle Stecker gezogen werden.


Es läuft:
Eric Clapton mit Tears In Heaven

Das sogenannte „Mood Management“ durch Musik hat mehrere Seiten. So ist es zum Beispiel möglich, vorhandene Gefühle durch die passenden Songs zu verstärken. Welche Songs wir als passend empfinden, ist dabei völlig unterschiedlich. Manch einer hört beim Sport lieber testosterongeladenen Metal, andere setzen auf chillige House-Klänge. Interessant sind Fälle wie „Eye Of The Tiger“ von Survivor: Durch die Einbettung in den berühmten Box-Film „Rocky“ kennen ausgesprochen viele Menschen das Stück als sportliche Hymne, die zu Höchstleistungen motivieren kann. Doch ob Musik nun unsere Stimmung beeinflusst oder wir Musik nach unserer Stimmung auswählen, lässt sich auch nach zahlreichen Studien nicht genau sagen. Am wahrscheinlichsten ist wohl eine Wechselwirkung aus beidem.

Dass Musik so eng an unsere Emotionen geknüpft ist, macht sie übrigens auch für Medizin interessant, zum Beispiel im Umgang mit Depressionen. So ergab eine Studie in Singapur, dass Menschen in Altersheimen weniger depressiv waren, wenn ihnen 30 Minuten pro Tag ihre Lieblingsmusik vorgespielt wurde. Das sei aber nicht immer verlässlich, erklärt André Klinkenstein, Direktor des privaten Instituts für Musiktherapie in Berlin: „Das Stück, das uns heute glücklich stimmt, kann uns morgen schon traurig machen.“ Klinkenstein setzt Musik in der sogenannten Regulativen Musiktherapie ein, zum Beispiel um Patienten einen besseren Zugang zu ihren Gefühlen zu verschaffen. Und dass Musik auch in der Behandlung von Demenzerkrankungen zum Einsatz kommt, zum Beispiel, um verloren geglaubte Erinnerungen zurückzuholen, zeigt, wie tief die Musik mit uns verbunden ist.

Gänsehaut
Everjean / flickr.com CC BY 2.0 DEED
Gänsehaut

Dafür steht auch ein Phänomen, das wir alle kennen: die Gänsehaut. Doch wie genau entsteht sie? Existiert gar eine Art Geheimrezept? Jein. Gewisse Regeln gibt es schon und sie erschließen sich, wenn wir uns kurz anschauen, warum wir überhaupt Gänsehaut bekommen. Evolutionsbiologisch betrachtet funktioniert unser Hörsinn nämlich auch als Alarm, der uns vor unangenehmen Situationen warnt, zum Beispiel, wenn die Erde bebt. Solche tiefen Töne können wir nicht orten, was für Desorientierung sorgt und Gänsehaut auslösen kann. Eine universelle Regel für Gänsehaut-Songs gibt es aber nicht, denn was genau bei uns die kleinen Haare zu Berge stehen lässt, hängt auch von unseren Erfahrungen und Hörgewohnheiten ab. Schade eigentlich — aber so bleibt es etwas Besonderes, wenn uns dann doch mal ein kalter Schauer über den Körper läuft.

„Das Geheimnis des Fußballs ist ja der Ball“, hat der legendäre Stürmer Uwe Seeler einmal gesagt. Mit der Musik verhält es sich ganz ähnlich: So ganz genau erklären lässt sich das Ganze nicht. Es gibt viele Vermutungen und logische Zusammenhänge, aber wir wissen immer noch nicht so genau, warum Musik auf eine bestimmte Art und Weise auf uns wirkt, welche Faktoren im Detail unseren Musikgeschmack formen, ob Musik schlau macht, unsere Gefühle beeinflusst oder wann sie Gänsehaut verursacht. Vielleicht ist es jene Irrationalität, die uns Musik so lieben lässt. Die dafür sorgt, dass uns Songs ganz unvermittelt packen und nie wieder loslassen. Die uns zu Fans einer Band werden lässt, mit der wir möglicherweise ein ganzes Leben verbringen. Wir haben gelernt: Musik kann viel mehr, als dafür zu sorgen, dass wir die Pommesgabel in die Luft recken und die Matte kreisen lassen. Wir haben wissen nun aber auch: Mehr als das braucht es gar nicht.